In der LU aktuell, Ausgabe 08/2022, Seite 8, haben wir einen Artikel zum Thema „Pflicht (der Arbeitgeber) zur Dokumentation der Arbeitszeit“ veröffentlicht.
In diesem Artikel wurde ausgeführt, dass das im Jahr 2019 gefällte Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH, sogenanntes „Stechuhr-Urteil“) bislang nicht unmittelbar, das heißt direkt, für deutsche Arbeitgeber gilt. Vielmehr müsse dieses Urteil zunächst in innerstaatliches Recht umgesetzt werden, ehe es auch direkt für deutsche Arbeitgeber gelten könne.
Aktuelle Entscheidung des BAG:
Das BAG hat nun aktuell mit Beschluss vom 13.09.2022 (Az.: 1 ABR 22/21) entschieden, dass deutsche Arbeitgeber bei unionsrechtskonformer Auslegung des o. g. EuGH-Urteils bereits jetzt gesetzlich verpflichtet seien, die Arbeitszeiten ihrer Arbeitnehmer zu erfassen. Dies kam für viele Medien offenbar sehr überraschend und wurde mehrfach als ein „Paukenschlag“ bezeichnet.
Doch was gilt aktuell jetzt tatsächlich?
Rechtliche Einordnung:
Urteile des EuGH sind grundsätzlich zunächst nur zwischen den streitenden Parteien direkt verbindlich. Enthalten die EuGH-Urteile Festlegungen zu übergeordneten Rechtsgrundsätzen in der EU, so können sich die nationalen Gerichte darauf in ihren Entscheidungen beziehen und entsprechend urteilen. Eine (automatische) Veränderung der Gesetzeslage in den EU-Mitgliedsstaaten ist damit aber nicht verbunden.
Würde es jetzt zu einer Kontrolle eines Lohnunternehmens hinsichtlich einer Dokumentation der Arbeitszeit kommen und festgestellt werden, dass diese nicht oder nicht vollständig im Sinne des Beschlusses des BAG vorliegt, so könnte staatsseitig keine Sanktion mangels einer (deutschen) gesetzlichen Regelung bzw. Ermächtigungsgrundlage verhängt werden. Grund dafür ist, dass im Augenblick eine entsprechende gesetzliche Regelung im deutschen Recht schlichtweg nicht vorhanden ist.
Demzufolge hat das Bundesarbeitsministerium (BMAS) hinsichtlich des Beschlusses des BAG auch geäußert, dass es zunächst dessen endgültige Fassung nebst Begründung abwarten will, ehe es selbst eine Entscheidung trifft, wie es das EuGH-Urteil bzw. den BAG-Beschluss in deutsches Recht umsetzen will.
Solange dies nicht geschehen ist, entfaltet der aktuelle BAG-Beschluss kaum direkte Auswirkungen für die Praxis.
Fazit:
Solange der Gesetzgeber nicht tätig wird und die EuGH / BAG-Rechtsprechung in deutsches Recht umsetzt, ändert sich an der im o. g. Artikel in der LU aktuell, Ausgabe 08/2022, dargestellten Rechtslage nahezu nichts.
Einzig im Rahmen von gerichtlichen Streitigkeiten z. B. über die Nachzahlung von geleisteten Überstunden könnte sich der aktuelle BAG-Beschluss negativ für Arbeitgeber auswirken. Kann der Arbeitgeber dann im Prozess nicht eine entsprechende Arbeitszeitdokumentation vorweisen, so dürfte es entgegen der bisherigen Praxis zu einer Beweislastumkehr kommen, das heißt der Arbeitgeber müsste dann beweisen, dass die streitigen Überstunden nicht geleistet und auch nicht von ihm angeordnet wurden.
Es ist allerdings für die Zukunft zu erwarten, dass der deutsche Gesetzgeber unter Federführung des BMAS nun aktiv wird und die EuGH- bzw. BAG-Rechtsprechung in das deutsche Recht aufnimmt.
Wie das geschehen wird und welche konkreten Aufzeichnungspflichten dadurch zukünftig entstehen, ist derzeit aber völlig unklar.
Selbstverständlich werden wir Sie unverzüglich informieren, sobald hierzu neue Erkenntnisse vorliegen.
Pirko Renftel, Stand: 29.09.2022